Seiten

Dienstag, 28. Mai 2013

Der Admirals Tee, oder Tapas 1x1

Mein Leben ist schnell und ich habe den Verdacht, dass eures auch nicht viel langsamer ist :-). Es gibt unzählige Aufgaben, die der Alltag mit sich bringt und von uns Aufmerksamkeit, Energie und Zeit verlangen.
Letztere sind nicht unendlich verfügbar, daher die Notwendigkeit einer spirituellen Praxis, die unsere Gesundheit auf allen Ebenen erhält.
Und Tapas ist ein Element jeder spirituellen Praxis.

Lasst uns mit Hilfe der üblichen W-Fragen mehr Licht in das Thema bringen.

Was ist Tapas?

Tapas ist die Ausübung von physischer und geistiger Strenge und Disziplin, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sagt Wikipedia. Tapas ist eine der fünf Niyamas auf dem achtfachen Yogapfad (Ashtanga Yoga).

Tapas bezeichnet also eine Herausforderung an uns selbst, die wir durch eine konzentrierte, zielgerichtete Anstrengung für eine begrenzte Zeit angehen, um ein bestimmtes Resultat zu erreichen.
Wenn man das so sieht, verliert Tapas den exklusiven, asketischen Sanskrit-Touch :-) und wird Teil unseres normalen Lebens, da wir immer hinter einem bestimmten Ziel her sind und uns darauf konzentrieren.
Tapas ist also nur der yogische Begriff für das, was wir immer tun, wenn wir etwas erreichen wollen.

Warum?

Strenge und Disziplin klingen nicht gerade nach Spaß :-)... warum sollte man so etwas machen? Ist das Leben nicht schon hart genug?!

Wir wissen aus Theorie und eigener Erfahrung allzu gut, dass alle Systeme zum Gleichgewicht tendieren, zu einem Zustand der Stabilität. So schön und vernünftig das auch klingt, bedeutet dieses Gleichgewicht nichts anderes als Stillstand, und jeder Stillstand ist Tod! Damit man am Leben bleibt, ist also eine ständige - wenn auch nur kleine! - Veränderung notwendig.

The measure of intelligence is the ability to change. - Albert Einstein

Tapas ist das Feuer, das diese Veränderung mit sich bringt und dadurch unser Leben warm hält. Tapas ist also Leben. Es gibt kein Leben - und auch kein Yoga - ohne Tapas.

Wofür?

Man macht ein Tapas nicht des Tapas wegen, sondern um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Daher lohnt es sich, im Voraus gut zu überlegen, was genau durch Tapas erlangt werden soll. Schau also tief in dich hinein und überleg, was du brauchst (und nicht, was andere meinen, was du brauchst). Und achte dabei eher auf das, was du langfristig brauchst - auch wenn sich ein Tapas durchaus auch für kurzfristige, kurzlebige Veränderungen eignet.

Wie formuliere ich mein Ziel?

Über Zielformulierung habe ich hier mehr als genug gesprochen.

Wann?

Stell dir, bevor du mit dem Tapas anfängst, folgende Zeit-Fragen:

  • Wann möchtest du anfangen?
  • Wie lange möchtest du (insgesamt und pro Tag) dafür investieren?
  • Wie oft möchtest du das am Tag machen?

und überlege dir die Antworten auf diese Fragen ganz genau. Sie entscheiden oft über den Erfolg deines Tapas.

Wieviel?

Mach dir auch über die Dosis Gedanken.
Überleg dir, wieviel du - nun unabhängig vom Tapas, in Friedenszeiten - von dem, was du erreichen möchtest, täglich bräuchtest, und wähle für dein Tapas mehr!

Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Sagen wir mal, dass du es gut finden würdest, wenn du 5 Minuten täglich die Kobrastellung Bhujangasana machen würdest. Dann wähle für dein Tapas 30 Minuten, auch wenn, um das zu erreichen, mehrere Monate notwendig sind (s.a. unten). Dadurch schaffst Du dir die Vorraussetzung dafür, dass nach dem Beenden des Tapas die täglichen 5 Minuten auf alle Fälle gelingen.

Ein anderes Beispiel: Wenn ich mir z.B. wünsche, dass ich täglich die Treppen bis zur 2. Etage, in der ich wohne, laufe, dann wähle ich für mein Tapas die 17 Etagen bis zu meinem Büro.

Das heißt nicht, dass ich ab sofort täglich 30 Minuten Bhujangasana bzw. 17 Etagen steige! Da will ich hin, da will ich ankommen. Ich beginne dort, wo ich im Moment bin - s.a. mehr dazu unten - und arbeite mich langsam zu meinem Tapas-Ziel hin.

Strategien

Es gibt durchaus so etwas wie eine Kunst, ein Tapas zu organisieren, so dass es mit Sicherheit ein Erfolg wird. Wenn du dieses Talent noch nicht dein eigen nennen kannst ;-), beherzige diese sieben Ratschläge von mir:

  1. Schon bevor du anfängst, überleg’ dir einen Plan B.
    Vielleicht hast Du das Glück, ein Leben zu haben, wo alles glatt und in geregelten Bahnen läuft. Wenn dem so ist, dann freu’ dich darüber und mach’ weiter - aber dann bräuchtest du sowieso nicht, diesen Artikel zu lesen (und seit wann gibt's überhaupt Internetanschluß im Kloster?! ;-).
    Für alle anderen: Willkommen im Leben! :-)
    David Allen sagte mal, dass das einzig regelmäßige in seinem Leben das Aufstehen sei... und bei mir ist das auch nicht anders, insbesondere seitdem ich mir seit neuestem wieder mit einem jungen Mädchen 8-) die Nächte um die Ohren schlage.
    Damit du nicht gezwungen bist, bei der ersten Unterbrechung durch ein unerwartetes Ereignis (Weihnachten, Geburtstag, Periode, Sonnenaufgang, unangemeldeter Besuch, evtl. Krankheit, Championsleague, etc.) den Kopf in den Sand zu stecken, mit dem Leben zu hardern und dein neues Tapas aufzugeben, überleg’ dir früh genug, wie du dein Tapas unter allen Umständen weiterführen kannst.
    Was wirst du tun, wenn du dein tägliches Tapas einmal ausnahmsweise nicht wie geplant ausführen kannst? Wirst du es dann später am selben Tag / am nächsten Tag / etc. nachholen? Oder wirst du das Verpasste eher über die nächste Woche / den nächsten Monat verteilen, damit es nicht so viel auf einmal ist? Oder doch eher einen Tag hintendran hängen?
    Der Mensch macht sich Pläne und Gott amüsiert sich..
    Überleg’ dir das früh genug, denn die nächste Störung kommt bestimmt!
    Die Störung ist das Leben ;-)
  2. Fang’ sehr klein an.
    So klein, dass das Tapas gar keine spürbaren Anstrengungen produziert. Beginne also genau dort, wo du dich z.Zt. befindest. Das ist schon viel wert, auch wenn es nicht danach aussieht.
    Zudem gibt es dir eine Information über deine jetzige Grenze -- und Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.
    Ist 1 Minute Bhujangasana machbar oder sollte ich lieber mit 30 Sekunden anfangen?
    Und zweitens gibt dir die Bewältigung dieser Mini-Task ein erstes Erfolgserlebnis - und jeder Erfolg, auch noch so klein, macht dich stärker!
  3. Mach’ täglich etwas dafür.
    Täglich ist mein Mantra, klar... und der Garant für deine tiefgründige Veränderung.
  4. Steigere regelmäßig dein Pensum, auch wenn die Steigerung an sich minimal sein kann.
    Zurück zum Kobra-Beispiel von oben: Wenn du mit 30 Sekunden täglich angefangen hast, dann steigere die Dauer während deines Tapas mit einer Sekunde täglich. Und sollte das irgendwann einmal auch zu viel sein, dann steigere in dieser Zeit mit nur einer Sekunde pro Woche! Die Langsamkeit ist kein Nachteil, sondern vielleicht sogar eine Stärke hier (Erinnere dich an die Fabel mit der Schildkröte!)! Hauptsache du stagnierst nicht - du weißt doch, Stillstand ist der Tod!
    Die langsame Steigerung bringt eine Fülle von Vorteilen mit sich. Sicherlich kannst du z.B. nach 20 Jahre sitzender Arbeitstätigkeit & gar kein Sport direkt mit täglich 10 Minuten Joggen anfangen und jeden Tag noch andere 10 Minuten drauf packen, nur wird es irgendwann unendlich schmerzhaft sein, so weiter zu machen und überhaupt zu leben (und ich spreche jetzt nicht nur von körperlichen Schmerzen, sondern auch von der Anstrengung, so viel Zeit in deinem Tagesablauf zu finden und dies noch reibunslos zu integrieren.). Dabei muss Tapas auf keinem Fall ein Sanskrit-Synonym zu Schmerz sein! Steigere dein tägliches Pensum lieber weniger abrupt - z.B. nur 1 Minute mehr pro Woche in dem Jogging-Beispiel von vorhin - dafür aber stetig und langfristig. So wird sich das Tapas harmonischer in deinem Leben einreihen und die damit verbundenen Änderungen werden sich nicht wie eine Vergewaltigung anfühlen, sondern von Innen geschehen.
  5. Steigere solange, bis du dein geplantes Maximum (das mehr als die tägliche Dosis sein sollte, s.o.) erreicht hast, und reduziere dann allmählich bis zu der von dir gewünschten normalen Zeit / Durchführung.
    Das langsame Zurückschrauben auf das künftige normale Niveau ist wichtig! Natura non facit saltus - wer das erkennt und in seinem Leben umsetzt, kommt der Weisheit schon ziemlich nahe.
  6. Belege aber die durch den zeitlich reduzierten Tapas freigewordene Zeit mit etwas anderem - und was eignet sich dafür besser als der Stoff für dein nächstes Tapas?!
    D.h. nachdem du z.B. deine 30 Minuten Bhujangasana erreicht hast, beginnst du die Zeit langsam zu reduzieren, z.B. in Minutentakt: Zuerst 29 Minuten, am nächsten Tag 28 Minuten, am nächsten Tag 27 Minuten... bis du bei den gewünschten 5 Minuten Bhujangasana täglich ankommst. Und schon am ersten Tag, an dem du reduzierst, machst du nach den 29 Minuten Bhujangasana noch 1 Minute etwas anderes (z.b. Shalabhasana). Am folgenden Tag machst du 28 Minuten Bhujangasana, gefolgt von 2 Minuten Shalabhasana... so dass du die bereits für das Tapas belegten 30 Minuten weiterhin nutzt, um - ohne es zu merken! - dein neues Tapas (das z.B. täglich 5 Minuten Shalabasana als Ziel haben könnte) anzufangen.
    Und da kommt die Analogie zum Admirals Tee (kudos gehen an Ilja ;-):
    Man macht sich eine Tasse schwarzen Tee, trinkt davon einen Schluck und füllt die Tasse mit Cognac auf. Das macht man solange, bis nur noch Cognac in der Tasse bleibt.
    Das erklärt vielleicht den schiefen Kurs mancher russischer Schiffe ;-) und gibt dir die Möglichkeit, am Ball zu bleiben mit der Veränderung.
  7. Behalte deine tägliche Dosis ein Leben lang!
    Warum solltest du dich sonst mit so etwas beschäftigen? Du wolltest doch am Anfang eine tiefgründige Veränderung!

Was bringt ein Tapas?

Neben dem direkten Gewinn (= dein Ziel), lernt man während des Prozesses noch eine Menge durch das Tapas.
Ein Tapas bringt mir Antworten zu vielen Fragen, wie z.B.:

  • Was motiviert mich?
  • Was fällt mir schwer?
  • Wo liegen die momentanen Hindernisse?

Auch kann man von einem Tapas vieles lernen, was man beim nächsten Tapas einsetzen kann, und das sogar unabhängig davon, ob das Ziel erreicht wurde oder nicht. Daher sollte man sich z.B. immer nach Beenden eines Tapas fragen:

  • Wieso ist mir dieses Tapas (nicht) gelungen?
  • War das Ziel gut gewählt und formuliert?
  • Passten das Ziel und meine Anstrengungen energetisch und zeitlich zu den jetzigen Bedingungen?
  • Wo muss ich demnächst besser aufpassen?

Fragen die unausweichlich... zum nächsten Tapas führen!
Ich sagte doch: Tapas ist Leben! ;-)

P.S. Schau dir auch diese Artikel für andere interessante Sichtweisen zum selben Thema an:

Technorati Tags: , ,

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen